Kennen Sie Whataboutism? Es ist der Ausdruck für eine Ablenkungsform in Debatten. Sein Auftreten ist mit den Kommentarspalten in sozialen Medien oder Online-Foren erstarkt. Meist wird die Strategie eingesetzt, um vom Wesentlichen einer Diskussion abzulenken oder die Diskussion abzubrechen.
Ein Beispiel gefällig? Beim Thema Strassenlärm erheben sich die Stimmen schnell, dass zum Beispiel Kirchenglocken, Rasenmäher und sowieso Züge auch laut seien. Das stimmt. Bloss: 80 Prozent des gesamten Lärms verursacht der Strassenverkehr. Wenn also die gesundheitlichen Schäden des Lärms eingedämmt werden sollen, braucht es Massnahmen an der Hauptursache.
Hinter Whataboutism steckt also das Ziel, von Kritik abzulenken. Das muss nicht immer bewusst oder gezielt sein. Das kann besonders dann im Reflex passieren, wenn die Kritik ein eigenes Verhalten angeht, das man nicht ändern kann oder will. In sachlichen Debatten um konkrete Problemstellungen geht es allerdings darum, zielführende Lösungen zu finden.
Um beim Lärm-Beispiel zu bleiben: Auch wenn alle Kirchenglocken verstummen und keine Züge mehr Lärm machen, der Strassenlärm sich aber nicht reduziert, sind nach wie vor mindestens 80 Prozent der Lärmproblematik ungelöst.
Der Whataboutism-Vorwurf ist sehr en vogue. Dabei ist Whataboutism manchmal auch wichtig. Kehren wir das Lärmbeispiel um: In der Debatte um laute Kirchenglocken wird eingebracht, dass 80 Prozent des Lärmproblems von der Strasse stammen. Auch das ist Whataboutism, weist aber die wesentliche Problemstellung hin, für die es wirksame Lösungen braucht.
Kommt also der Whataboutism-Vorwurf, ist Vorsicht oder zumindest Aufmerksamkeit geboten. Er kann in Debatten nämlich auch der Logik dienen. So schreibt Logik-Professor Christian Christensen aus Stockholm: „Manchmal brauchen wir Whataboutism. Es ist die Herausforderung, über die manchmal schmerzhafte Wahrheit unserer Stellung in der Welt kritisch nachzudenken.“
Den Unterschied zwischen diskussionsverweigerndem und debattenförderndem Whataboutismus macht also die Absicht aus – also entweder dem Problem aus dem Weg gehen oder es tatsächlich lösen zu wollen. Für Kommunikatorinnen und Kommunikatoren heisst das, die richtige Mischung zwischen Einbettung und Hinterfragen zu finden – also das instrumentalisierte Hinterfragen davon zu unterscheiden, Debatten in den zielführenden Kontext zu stellen.
Inspiriert zu diesem Beitrag hat mich ein Beitrag von Anne Spiegel und Andreas Scheurer auf der Website des Bayrischen Rundfunks.
Foto: Jesca Li Baumann, Panta Rhei PR