Die einen nennen sie begeistert die fünfte Jahreszeit. Die anderen können gar nichts mit ihr anfangen: In diesen Tagen wäre die Fasnacht in vollem Gange. Zwei Fasnächtler – ein Aktiver und ein Nostalgiker – unterhalten sich.
Christian, seit letztem Donnerstag ist Fasnacht – was steht in dieser Zeit für einen Fasnächtler wie dich auf dem Programm und was geht 2021 überhaupt?
Die strengste und schönste Zeit wäre bereits vorbei. Mit unserer Guggenmusik sind wir normalerweise von Anfang Januar bis Ende Februar unterwegs. Das Highlight ist die Zeit vom Schmutzigen Donnerstag bis und mit Fasnachtsmontag. Dieses Jahr ist alles anders: Der Verein ist sozusagen stillgelegt. Damit trotzdem ein wenig Stimmung im Dorf aufkommt, erscheint die Fasnachtszeitung auch dieses Jahr. Sie lässt mit einem Augenzwinkern das vergangene Jahr Revue passieren. Zudem erinnern Fasnachtsflaggen und einige «Maschger» am Strassenrand an die närrische Zeit. Vieles geht auch online: Einige Fasnachtscliquen haben digitale Maskenbälle, Umzüge und Guggenkonzerte angekündigt. Ich bin gespannt…
Zumindest klassisch findet die Fasnacht dieses Jahr nicht statt. Zwar darf man in Fünfergruppen unterwegs sein, aber Veranstaltungen sind verboten – unabhängig von der Personenzahl. Allein verkleidet unterwegs zu sein, geht laut Luzerner Polizei. Reichweite und Einzelmaske passen zwar irgendwie nicht zusammen, das Experiment kann aber interessant sein.
Werner, du bist in einem Dorf aufgewachsen, in dem Fasnacht eine grosse Rolle spielt – welche Bedeutung hat sie für dich?
In Einsiedeln ist die Fasnacht kaum aus dem kulturellen Jahreskalender wegzudenken. Heute lebe ich nicht mehr da und deshalb ist Fasnacht für mich vor allem eine Kindheits- und Jugenderinnerung. Und sie hat mit Heimat zu tun. An der Fasnacht treffe ich meine Familie im Publikum am Strassenrand oder unter den aktiven Fasnächtlern. So gesehen hat Fasnacht für mich mindestens die Bedeutung wie Weihnachten.
Die Ursprünge der Fasnacht gehen weit zurück. Ab dem 13. Jahrhundert fanden vor der Fastenzeit – in der Nacht vor dem Fasten, der Fastnacht – grosse öffentliche Gelage statt. Es wurde geschlachtet und verderbliche Nahrungsmittel wurden aufgebraucht. Aus der Resteverwertung entstanden zum Beispiel die im Schmalz gebackenen Fasnachtschüechli.
Was bedeutet eine abgesagte Fasnacht für einen Verein wie deine Guggenmusik oder dein Dorf, Christian?
Sehr viel. Ganz Schänis bebt sonst zu dieser Zeit. In der «Sackgass» stehen dann jeweils 5000 Besucher – und das in unserem 3500 Seelen-Dorf! Es ist aber nicht die «Sackgass», die den Schännerinnen und Schännern fehlt. Vielmehr sind es die Schnitzelbänke in den Beizen, der Maskenball am Schmutzigen Donnerstag oder die Katersuppe. Die Fasnacht vereint das Dorf. In dieser Zeit treffen sich Menschen, die sich während des Jahres kaum sehen.
Zur Fasnacht gehört auch die Narrenfreiheit, die nicht immer unkritisiert bleibt. So richtig durchgestartet ist die Fasnacht im 20. und 21. Jahrhundert, vermutlich ausgelöst durch das Fernsehen.
Was denkst du, Werner: Würdest du die Fasnacht anders sehen, wenn du mit unserer Guggenmusik mitreisen würdest und beim ganzen Programm von Schminken, über den Auftritt bis zum Kafi Luz dabei wärst?
Wahrscheinlich wäre ich ziemlich paralysiert und käme mir als beobachtender Fremdkörper vor. Ich habe die Fasnacht zwar im Herzen, aber als Teil davon fühle ich mich eigentlich nur an der Einsiedler Fasnacht. Deine Truppe würde aber sicher gut für mich sorgen, und irgendwo zwischen Auftritt und Kafi Luz liesse ich mich treiben.
Die Zeit der Einschränkungen ist auch eine Zeit für Kreativität. Vereine, die weder an der Fasnacht noch an der Chilbi auftreten dürfen, können die wegfallende Vorbereitungszeit und ihr kreatives Potenzial zum Beispiel für die Nachbarschaftshilfe oder die Gestaltung von Freiräumen nutzen.
Christian, was bedeutet Fasnacht für dich ganz persönlich?
Der soziale Aspekt steht im Vordergrund. Ab September treffe ich meine Freunde wöchentlich, um zu musizieren. Ab Januar geht es los mit unserer Tour de Suisse als Guggenmusik. Auch hier: Die Fasnachtsbälle sind überall dieselben, aber das Erlebnis mit Freunden ist immer besonders und bleibt unvergesslich.
Im Sommer 1914 brach der erste Weltkrieg aus. Bis 1919 durfte zum Beispiel in Basel keine Fasnacht auf den Strassen stattfinden. In den Jahren danach entwickelte sich die Fasnacht zu dem, was sie heute ist.
Werner, obwohl du kein «Fasnächtler» bist: Fehlt dir die Fasnacht? Ja, sie fehlt mir. Und es fehlt was: Nicht zu erleben, wie Menschen Freude daran haben, sich zu verkleiden, schräge Töne mit ihren Instrumenten zu spielen oder einfach dem Geschehen zuzuschauen. Das gilt natürlich auch für alles andere, das Menschen Freude bereitet und jetzt ausbleibt. Und mir fehlen die Teufel, die vor der Kulisse des barocken Klosters in Einsiedeln tänzeln – ein unglaublich starkes Bild, das mich immer wieder überwältigt.
«Fasnacht passiert einfach», sagt der Schwyzer Historiker und Brauchtumsforscher Werner Röllin gegenüber der Aargauer Zeitung. Der Regelbruch gehöre zur DNA der Fasnacht.